Der Gerichtsstand beeinflusst das anwendbare Recht.
Im internationalen Wirtschafts- und Rechtsverkehr entscheiden die Prozessaussichten und die Vollstreckbarkeit eines Urteils häufig bereits über den Ausgang von Verhandlungen zur friedlichen Streitbeilegung. Ein Kläger kann mit der Wahl des Gerichtsstands unmittelbar Einfluss auf das anwendbare, sachliche Recht nehmen.
Das autonome Internationale Privatrecht bestimmt als Kollisionsrecht der nationalen Rechtsordnungen über das anwendbare materielle Recht. Dies ist auch entscheidend, wenn über die wirksame Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen und einer, darin enthaltenen, Rechtswahl zu entscheiden ist. Angestrebt wird zumeist ein Gerichtsstand in Deutschland.
Bei der internationalen und der örtlichen Zuständigkeit handelt es sich um zwei verwandte, aber klar zu trennende Prozessvoraussetzungen. Die internationale Zuständigkeit bestimmt, ob inländische Gerichte in ihrer Gesamtheit für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig sind. Die örtliche Zuständigkeit bezieht sich hingegen stets auf das konkrete, vom Kläger anzurufende Gericht.
Die internationale Zuständigkeit innerhalb der Europäischen Union ergibt sich aus der EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) vom 22. Dezember 2000.
Der Staat, dessen Gerichte international zuständig sind, wird Forumstaat genannt.
Unter Forum-Shopping versteht man deshalb das systematische Ausnutzen nebeneinander, in mehreren Staaten existierender, internationaler Zuständigkeiten um bestimmter rechtlicher oder tatsächlicher Vorteile willen. Der Kläger macht von seinem Recht Gebrauch, unter mehreren zuständigen Gerichten eines auszuwählen, weshalb Forum-Shopping ganz allgemein als legal und völlig legitim zu erachten ist.
Der sachliche Anwendungsbereich des EuGVVO erfasst nach Zivil- und Handelssachen, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Nach ihrem persönlichen Anwendungsbereich setzen die Zuständigkeitsnormen der Artikel 2 ff. EuGVVO grundsätzlich voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, wobei an die Stelle des Wohnsitzes bei juristischen Personen deren Sitz tritt.
Allgemeiner Gerichtsstand
Juristische Personen sind nach Artikel 2 Abs. 1, 53 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich in dem Vertragsstaat zu verklagen, in dem sie ihren Sitz haben.
Gerichtsstand des Erfüllungsorts
Wenn Ansprüche aus einem Vertrag Verfahrensgegenstand sind, kann nach Artikel 5 Nr. 1 EuGVVO vor dem Gericht des Ortes geklagt werden, an dem die streitige Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat bereits in einer seiner ersten Entscheidungen zum EuGVVO festgestellt, dass es auf den Erfüllungsort derjenigen Verpflichtung ankommt, die den Gegenstand der Klage bildet. Eine generelle Anknüpfung an den Ort der vertragscharakteristischen Leistung lehnt der EuGH ab.
Der Erfüllungsort bestimmt sich nach dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts, für die streitige Verpflichtung maßgebend ist. Ein deutscher Richter wird bei der Prüfung der Zuständigkeit deshalb das Recht desjenigen Ortes anwenden, an dem der Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine Hauptniederlassung hatte.
Verbrauchergerichtsstand
Artikel 13 EuGVVO 1968 enthielt einen Gerichtsstand für Abzahlungssachen, der bereits durch Artikel 13 Abs. 1 EuGVVO 1978 auf einen weiten Bereich von Verbrauchersachen ausgedehnt wurde. Verbraucher ist, wer einen Vertrag zu einem Zweck abschließt, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann.
Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist gelegentlich schwierig vom Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes abzugrenzen. Wesentlich für den Gerichtsstand des Vertrages war dessen Vorhersehbarkeit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Typisch für die unerlaubte Handlung ist, dass das Opfer unvorhergesehen von jemandem geschädigt wird, der womöglich weit vom Tatort entfernt wohnt. Deshalb schafft der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung einen Klägergerichtsstand.
Beispiel: R verletzt sich in Moskau an einer Druckmaschine, bei der D eine, nach DIN/ISO vorgeschriebene, Schutzkappe für den Export eingespart hat.
Den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung definiert der EuGH für solche Streitigkeiten, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nr. 1 anknüpfen“ (EuGH NJW 1988, 3088). Für die Deliktszuständigkeit hat sich der EuGH wahlweise am Handlungs- und am Erfolgsort ausgesprochen. Allerdings ist ein Gericht, das nach Artikel 5 Nr. 3 für die Entscheidung über eine Klage unter einem, auf deliktischer Grundlage beruhenden, Gesichtspunkt zuständig ist, nicht zugleich zuständig über diese Klage unter anderen, nicht-deliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden.
Beispiel: D nimmt nicht nur billigend die Verletzung des R in Kauf (unerlaubte Handlung), die fehlende Schutzkappe ist auch ein Sachmangel, der Gewährleistung ermöglicht.
Dies begründet der EuGH damit, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eine Ausnahme vom Grundsatz darstelle, dass die Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten zuständig seien. Auch wenn es Nachteile mit sich bringe, über die einzelnen Aspekte eines Rechtsstreits von verschiedenen Gerichten entscheiden zu lassen, so habe der Kläger doch stets die Möglichkeit, seine Klage unter sämtlichen Gesichtspunkten vor das Gericht am Wohnsitz des Beklagten zu bringen.
Gerichtsstand der Niederlassung
Artikel 5 Nr. 5 EuGVVO eröffnet einen Gerichtsstand im Inland, wenn der Verkäufer planmäßig von einer inländischen Niederlassung aus Geschäfte betreibt. Keine Rolle spielt, ob die Niederlassung des Beklagten rechtlich selbstständig ist oder nicht, sofern nur der Rechtsschein gesetzt wird, dass es sich um eine vom Verkäufer unterhaltene Geschäftseinrichtung handelt. Dieser Gerichtsstand ist für alle Streitigkeiten eröffnet, die einen Bezug zur Niederlassung haben, also auch mit der entfalteten Geschäftstätigkeit zusammenhängende, deliktische Ansprüche.
Vermögensgerichtsstand
Falls die zahlungsunwillige Käuferin in Deutschland eine Bankverbindung unterhält, ist an den Vermögensgerichtsstand des § 23 Satz 1 1. Alternative Zivilprozessordnung (ZPO) zu denken. Dieser exorbitante deutsche Gerichtsstand steht jedem Kläger offen und erübrigt ein umständliches Urteilsanerkennungsverfahren, wenn das Urteil im Inland durch Zugriff auf das, die Zuständigkeit begründende, Vermögen vollstreckt werden kann. Jedoch schließt Artikel 3 Abs. 2 EuGVVO die Anwendung des § 23 ZPO gegenüber Personen, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben ausdrücklich aus.
Mahnverfahren
Im Rechtsverkehr mit den EuGVVO-Staaten ist ein Mahnverfahren gemäß §§ 688 ff. ZPO grundsätzlich statthaft. Für die internationale und örtliche Zuständigkeit zum Erlass eines Mahnbescheides ist grundsätzlich das Amtsgericht zuständig, bei dem der Antragsteller im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Vorrang des § 703 d ZPO vor § 689 Abs. 2 ZPO verhindert einen Konflikt mit dem EuGVVO. § 703 ZPO ermöglicht es dem zuständigen Mahngericht, im Falle des Widerspruchs den Rechtsstreit an das, gemäß dem EuGVVO zuständige, ausländische Gericht abzugeben.
Häufig verkennt der Anspruchsgegner die Bedeutung von Mahnbescheid und Vollstreckungsbescheid und läßt beide ohne Rechtsmittel gegen sich ergehen. Ein Anerkennungsverfahren ist grundsätzlich nach den Vorschriften des EuGVVO zulässig, um den Vollstreckungsbescheid im Ausland vollstreckbar zu machen.
Gerichtsstandsvereinbarung
Beispiel: V verwendet in seinen AGB den Satz: “Ausschließlicher Gerichtsstand ist München”.
Die Rechtswirksamkeit der in den Verkäufer-AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel richtet sich nach Artikel 23 EuGVVO. Danach sind alle Gerichtsstandsvereinbarungen formbedürftig, verlangt wird eine schriftliche oder mündliche, schriftlich bestätigte Vereinbarung. Der EuGH läßt es genügen, wenn die begünstigte Partei durch Bezugnahme auf ihre AGB eine mündlich getroffenen Vereinbarung schriftlich bestätigt und die andere Partei daraufhin nicht widerspricht. Für eine zuvor getroffene, mündliche Gerichtsstandsvereinbarung gibt es keine Anhaltspunkte. Da sie auch nicht wahrscheinlich ist, kann sie hier verneint werden.
Auch die Bezugnahme auf die AGB kann die Schriftform erfüllen. Allerdings ist eine schriftliche Vereinbarung nur dann anzunehmen, wenn jede Vertragspartei ihre Willenserklärung in schriftlicher Form abgegeben hat. Da eine schriftliche Bestätigung offenbar nicht erfolgt ist, führt die Gerichtsstandsklausel in den Verkäufer-AGB nicht zu einer Gerichtsstandsvereinbarung. Deshalb kann an dieser Stelle die nach dem Vertragsstatut zu beurteilende Frage dahingestellt bleiben, ob die AGB überhaupt wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind.
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