Der Gemeinschaftspraxisvertrag verschwindet nach seiner Unterzeichnung in einer Schublade und wird nach Möglichkeit nicht wieder hervorgeholt.
Solange keine Streitigkeiten entstehen, ist dies in der Regel auch nicht erforderlich. Das birgt jedoch eine Reihe von Risiken. Schließlich ändert sich im Laufe der Jahre sowohl die Gesetzgebung als auch die Rechtsprechung. Ein Gesellschaftsvertrag, der bei seinem Abschluss in Ordnung war, kann inzwischen schwere Mängel aufweisen. Deshalb soll exemplarisch auf einige Gesichtspunkte hingewiesen werden, die eine Neuregelung erforderlich machen.
§ 728 Absatz 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) besagt: „Die Gesellschaft wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters aufgelöst.“ Damit wird den wirtschaftlich gesunden Gesellschaftern die Insolvenz der Gemeinschaftspraxis zwangsweise per Gesetz auferlegt, obwohl die Gemeinschaftspraxis die wirtschaftliche Grundlage ihrer beruflichen Tätigkeit ist. Um diese „Katastrophe“ zu vermeiden, sollte gesellschaftsvertraglich bestimmt werden, dass der von der Insolvenz betroffene Gesellschafter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens automatisch aus der ohne ihn fortgeführten Gesellschaft ausscheidet.
In vielen alten Gemeinschaftspraxisverträgen begründet die Insolvenz lediglich die Möglichkeit, den Gesellschafter durch Beschluss auszuschließen. Dann ist es aber bereits zu spät, weil die Gemeinschaftspraxis kraft Gesetzes bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst ist.
Teilweise sehen Gesellschaftsverträge vor, dass der ausscheidende Gesellschafter keine Abfindung beziehungsweise nur einen Anteil am Betriebsvermögen erhält. Finanziell wertvoller ist jedoch der immaterielle Anteil / Good will, der nicht abgefunden wird. Der ausscheidende Gesellschafter erhält dafür die Möglichkeit, seine neue Praxis in der unmittelbaren Nähe zur alten Praxis zu eröffnen und somit „seine“ Patienten mitzunehmen. Wenn der ausscheidende Gesellschafter sich in der Nähe der alten Praxis mit seiner Kassenarztzulassung niederläßt, dürfte diese vertragliche Regelung unbedenklich sein.
Will der Gesellschafter aber zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen oder aus Altersgründen ausscheiden und seinen Gesellschaftsanteil an einen Erwerber verkaufen, so läuft er Gefahr gar nichts oder nur wenig zu erhalten. Dies gilt insbesondere, wenn der Gesellschaftsvertrag zum Beispiel noch vorsieht, dass die verbleibenden Gesellschafter dem Nachfolger zustimmen müssen.
Dadurch ist der ausscheidende Gesellschafter aber vom guten Willen der verbleibenden Gesellschafter abhängig, ob er überhaupt seinen Gesellschaftsanteil veräußern kann. Bislang ist von der Rechtsprechung nicht geklärt, ob durch die Chance, Patienten mitnehmen zu können, der gesetzliche Abfindungsanspruch (§ 738 BGB) ersetzt werden kann. Eine solche Vertragsbestimmung dürfte vom Grundsatz her zulässig sein. Jedoch dürfte für den Fall des Ausscheidens wegen Berufsunfähigkeit, aus Altersgründen oder wegen Todes etwas anderes gelten, weil der Ausscheidende durch den faktischen Abfindungsausschluß unbillig benachteiligt wird.
Die Regelung könnte sittenwidrig und damit nichtig sein, weil sie im Ergebnis eine Enteignung des ausscheidenden Gesellschafters darstellen könnte, was trotz einer salvatorischen Klausel zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages führen könnte. Zu beobachten ist, dass gerade der Seniorpartner eine solche Klausel in den Vertrag aufnimmt, ohne zu Bedenken, dass sich diese Klausel gegen ihn richten kann. Das ist beispielsweise der Fall, wenn er aus Altersgründen ausscheiden und seinen Gesellschaftsanteil („sein Lebenswerk“) zur Alterssicherung veräußern will.
Bestimmungen in einem Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftern das Recht einräumen, andere Gesellschafter nach freiem Ermessen (also ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes) aus der Gesellschaft auszuschließen, sind grundsätzlich sittenwidrig und daher nichtig. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass der Gesellschafter, dem die jederzeitige Hinauskündigung droht, seine ihm zustehenden Gesellschafterrechte nicht oder nur beschränkt wahrnimmt.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht der Bundesgerichtshof bei Gemeinschaftspraxen vor, wo auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes die Altgesellschafter den neu hinzukommenden Gesellschafter in einer Kennenlernphase hinauskündigen dürfen. Bei der Dauer der Kennenlernphase ist man mit zwei Jahren auf der sicheren Seite, aber auch eine Kennenlernphase von drei Jahren kann unter Umständen gerade noch zulässig sein.
Häufig wird von Ärzten / Ärztinnen ohne Rechtsbeistand aus alten Verträgen ein neuer Vertrag zusammengeschustert. Dies ist selbstverständlich für alle Beteiligten erst einmal billiger. Im Streitfall kann sich dieses „Sparen an der falschen Stelle“ jedoch als teuerer Fehler herausstellen. Gerade bei Gesellschafterverträgen sollte vor Vertragsabschluß kompetenter Rechtsrat eingeholt werden.
Sofort-Beratersuche
AdvoGarant Artikelsuche